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75 „DAS IST KRIEG, HERR PFARRER!“ 1 Ein Kleinostheimer Editionsprojekt zur „Seelsorge via Feldpost“ im Zweiten Weltkrieg 1 Mein besonderer Dank für die Initiation dieses Projektes und die im Zuge dessen erfolgte Beratung im Pfarreiarchiv der Gemeinde Kleinostheim gilt Edwin Lang, dem Pfarreiarchivar und bedeutenden Lokalhistoriker, dessen Einsatz zur Bewahrung und Aufarbeitung historischer Quellen an dieser Stelle auch ein explizites Lob verdient hat. Ohne sein Zutun existierte das hier vorgestellte Editionsprojekt, 1 Soldaten jedoch nach einer gewissen „Normalität“, die EINLEITUNG das hoffentlich 2022 abgeschlossen werden kann, nicht. Kriege verändern Menschen und selten kommen diese unbeschadet an Leib und Seele aus ihnen zurück. Der Zweite Weltkrieg war mit seinen vielen Toten auch in Kleinostheim eine einschneidende Zäsur,2 und für diejenigen Soldaten, die aus der Gemeinde an die Fronten des Krieges geschickt worden waren, um im Namen des Nationalsozialismus zu kämpfen und zu töten, war dies, sofern sie selbst überlebten, eine der prägendsten Erfahrungen ihres Lebens.3 Viele dieser Erfahrungen und Eindrücke waren traumatisch, was per se jedoch kein Argument zur moralischen Entlastung darstellen kann, war doch auch die Wehrmacht an den Verbrechen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft beteiligt.4 Gerade aufgrund ihrer Erlebnisse suchten viele 1 2 3 4 Mein besonderer Dank für die Initiation dieses Projektes und die im Zuge dessen erfolgte Beratung im Pfarreiarchiv der Gemeinde Kleinostheim gilt Edwin Lang, dem Pfarreiarchivar und bedeutenden Lokalhistoriker, dessen Einsatz zur Bewahrung und Aufarbeitung historischer Quellen an dieser Stelle auch ein explizites Lob verdient hat. Ohne sein Zutun existierte das hier vorgestellte Editionsprojekt, das hoffentlich 2022 abgeschlossen werden kann, nicht. Pfarrei Sankt Laurentius Kleinostheim (Hg.): Nekrologium Kleinostheim. Kleinostheim 2018. Für eine ganz allgemeine Betrachtung der soldatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges vgl. Sönke Neitzel u. Harald Welzer: Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. Frankfurt am Main 2012. Vgl. dazu Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944. Ausstellungskatalog. 3Hamburg 2021 sowie sie sich via Feldpostbriefen schufen, mit denen sie Verbindung hielten zu ihren jeweiligen Familienangehörigen, Freunden oder, wie im vorliegenden Beitrag zu zeigen sein wird, zum Pfarrer ihrer Gemeinde, der seelischen und spirituellen Beistand leisten konnte. Im Folgenden wird ein solcher individueller Fall, der Teil eines umfangreicheren Editionsprojektes ist und bei dem eine größere Anzahl Feldpostbriefe von Kleinostheimer Soldaten an den katholischen Geistlichen der Gemeinde,5 Pfarrer Josef Hepp (1892–1974)6, ediert und herausgegeben werden sollen, vorgestellt. Die Feldpostbriefe an den katholischen Geistlichen sind dabei in vielerlei Hinsicht von historischem Interesse. Zum einen belegen sie, welche Rolle Geistliche und deren seelsorgerischer Beistand auch während des Zweiten Weltkrieges spielten und wie wichtig der Kontakt zu einer so zentralen Figur der Heimatgemeinde für die Soldaten war. Zum anderen geben die Briefe einen Einblick in die Gedankenwelt der Schreibenden 5 6 das Sonderheft „Verbrechen der Wehrmacht“. Anmerkungen zu einer Ausstellung, in: Mittelweg 36 30 (2021), H. 5–6. Insgesamt sind im Pfarreiarchiv Kleinostheim mehr als 300 Briefe von etwa 180 Soldaten überliefert. Pfarreiarchiv, Katholische Gemeinde Sankt Laurentius Kleinostheim, Feldpost an Pfarrer Hepp. Aus diesem Bestand (01.1) stammen auch die hier vorgestellten Briefe von August Bender an Pfarrer Josef Hepp. Zu Leben und Wirken von Josef Hepp vgl. Edwin Lang: „Mitwirken dürfen am Heil der Menschen“. Biografisches über den Geistlichen Rat Josef Hepp. Kleinostheim 1999. 76 und zeigen nicht nur, inwieweit die oft jungen Männer am Krieg im Allgemeinen und den nationalsozialistischen Kriegszielen im Speziellen zweifelten oder diese unterstützten, sondern auch welche Rolle die religiösen Auffassungen und der Glaube an Gott für die Wahrnehmung ihrer Umgebung und des Kriegszustandes spielten. So offenbart sich ein umfangreiches Bild des Alltags junger Männer, die zwischen 1939 und 1945 mit den Folgen des nationalsozialistischen Expansionskrieges konfrontiert waren, und den heutigen Leser*innen wird klar, wie wichtig den jungen Soldaten gerade in dieser Situation eine aktive Verbindung zu ihrem Heimatpfarrer und Seelsorger war. Denn dessen Antworten offerierten das, was ihnen am meisten fehlte, ein Stück jener „Normalität“ und jenes Alltags, die sie aus friedlicheren Tagen in Gestalt der regelmäßigen Messen unter Leitung des katholischen Geistlichen gewohnt waren. sowie den Umgang mit begangenen Gewalttaten – diese werden in Briefen, auch an Pfarrer Hepp, oft einfach verschwiegen – getroffen werden.8 Im Fall der Korrespondenz mit dem Kleinostheimer katholischen Geistlichen sind archivalisch im Pfarreiarchiv der Gemeinde Sankt Laurentius nur die Briefe an ihn selbst überliefert, wobei aus den Antworten der Soldaten hervorgeht, dass Hepp mit ihnen in aktivem Kontakt stand und sich wirklich um die Aufrechterhaltung desselben bemühte. Der am 30. Januar 1892 in Bergrothenfels geborene Hepp hatte nach dem Abitur 1910 ein Studium der Theologie und Philosophie in Würzburg aufgenommen, wo er im Oktober 1911 in das Priesterseminar eintrat. Am 2. August 1914 wurde er schließlich von Bischof Ferdinand von Schlör zum Priester geweiht, bevor ihm ab 1928 die Pfarrei Kleinostheim (Sankt Laurentius) übertragen wurde, wo er FELDPOSTBRIEFE AN PFARRER HEPP Feldpostbriefe sind eine wichtige Quelle, geben sie in großer Zahl doch „Aufschluß über Millionen von Menschen […], die den Krieg ausgeführt haben“.7 Je nach Verfügbarkeit und Perspektive der Untersuchung ergeben sich so Möglichkeiten, Einsichten über den Alltag von Soldaten, aber auch deren Ängste, Nöte und Sorgen zu gewinnen. Gleichfalls können auf Basis ausreichender Feldpostbriefe generalisierende Aussagen über das soldatische Milieu, etwa mit Blick auf Ideologisierungsrate, das Verhältnis zu Gewalt und zum Töten 7 Katrin Kilian: Die anderen zu Wort kommen lassen. Feldpostbriefe als historische Quelle aus den Jahren 1939 bis 1945. Eine Projektskizze. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 (2001), H. 1, S. 153–166, hier S. 153. Abb. 1 Erinnerungstafel an Josef Hepp, Kleinostheim. Foto: Edwin Lang 8 Vgl. beispielhaft die folgende Edition und Studien: Elke Scherstjanoi (Hg.): Rotarmisten schreiben aus Deutschland. Briefe von der Front (1945) und historische Analysen. München 2004. bis 1968 wirkte.9 Zu seinen Betätigungsfeldern dort gehörten, so Hepp-Biograph Edwin Lang, vor allem „[d]ie Seelsorge, der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die [Linderung der] Not des Zweiten Weltkrieges und der Neubau der Pfarrkirche“10 nach dem Ende des Krieges. Die vielen Feldpostbriefe an Hepp zeigen seine Verbundenheit mit den Kleinostheimern, die während des Zweiten Weltkrieges eingezogen worden waren. Der Kontakt erstreckte sich oftmals über Jahre, wie im Fall der hier vorgestellten Briefe von August Bender (1901– 1968)11 an den Pfarrer. Aus den Briefen geht gleichfalls hervor, wie wichtig den jungen Männern der Kontakt zu ihrem Seelsorger war und über welche Erfahrungen und Sorgen sie sich mit Abb. 2 Feldpostkarte von August Bender an Pfarrer Josef Hepp, 18. Januar 1942 (gestempelt 20. Januar). Pfarreiarchiv, Katholische Gemeinde Sankt Laurentius Kleinostheim 9 10 11 Lang (Anm. 6), S. 4. Ebd. Ich danke Edwin Lang, Ewald Knichelmann und Joachim Schwarz für die Unterstützung bei der Identifizierung. 77 Abb. 3 Sterbebild August Bender. Foto: Edwin Lang ihm austauschten. Oft ging es einfach nur darum, den Kontakt zu einem Element ihres bisherigen Lebens, nämlich ihrem Glauben, nicht zu verlieren, der in gewisser Weise als „Anker“ in der Extremsituation des Krieges fungierte und an den sich viele Soldaten daher klammerten. Hepp mag hier emblematisch für den eigenen Glauben gestanden haben. Die Erfahrung des Krieges hatte neue Referenzrahmen geschaffen, einen in vielfacher Hinsicht entgrenzten Raum, in dem Gewalt an der Tagesordnung war. So war die Seelsorge, die Hepp in seinen Antworten an die Schreibenden quasi via Feldpost leistete, vielen der jungen Männer besonders wichtig. Referenzen auf den eigenen Glauben bzw. den Wunsch nach einem Gebet Hepps für das Heil der Soldaten selbst, einen baldigen Frieden oder einfach nur das Wohl der Familie, waren deshalb oft Teil der Briefe.12 12 Zu verschiedenen Perspektiven auf die Rolle des kirchlichen Lebens während des Krieges vgl. Hermann Düringer u. JochenChristoph Kaiser (Hgg.): Kirchliches Leben im Zweiten Weltkrieg. Frankfurt am Main 2005. 78 KRIEGSERFAHRUNG In ihren Briefen an Pfarrer Hepp berichteten die Soldaten aus ihrem Alltag und von ganz verschiedenen Kriegsschauplätzen und Einsatzorten, zum Beispiel Luxemburg, Norwegen oder der Sowjetunion. Interessanterweise beschränken sich die Schilderungen auf den jenseits der eigentlichen Kriegshandlungen stattfindenden Alltag. Mit Blick auf den Krieg werden in erster Linie Not und Mangel, Krankheit sowie der Tod von Kameraden beschrieben. Darüber hinaus schildern viele die ihnen bis dahin fremde Umgebung und versuchen, einen Eindruck von ihrem Einsatzgebiet zu vermitteln. Nur sehr selten wird die Gewalt des Krieges offen thematisiert. Dabei hatte sich gerade während des Feldzuges gegen die Sowjetunion seit Juni 1941 „das Koordinatensystem von legitimer und illegitimer, von angemessener und exzessiver Gewaltanwendung seit dem Ersten Weltkrieg erheblich verschoben“.13 Der Vernichtungskrieg in der Sowjetunion14 hatte die Wehrmacht vollends zu einer „Armee der Extreme“15 werden lassen, die nun aktiv in die Auslöschung der europäischen Juden, Strafaktionen gegen Partisanen sowie Verbrechen gegen Zivilist*innen involviert war. Ob sich die Soldaten, die an Pfarrer Hepp schrieben, als Täter, also als „Menschen, die eine mit Schuld verbundene Handlung ausführen“,16 verstanden oder in ihren Taten per se kein Verbrechen erkannten,17 weil sie mit den auf dem östlichen Kriegsschauplatz geltenden Regeln und der vom NS-Regime seit Jahren kommunizierten und nun applizierten Propaganda einhergingen,18 kann daher nur schwer eruiert werden. Sicher ist, dass der Zweite Weltkrieg im Osten Europas ebenso wie jeder andere Krieg ein Raum-Zeit-Kontinuum organisierter Gewalt darstellte, in dem Töten, Sterben sowie Zerstörung und Schrecken den Alltag der Soldaten bestimmten.19 Die Anwendung von Gewalt war im Kontext des Zweiten Weltkrieges allerdings funktional und durch die Rolle als Soldat legitimiert. Das heißt jedoch nicht, dass das von allen Männern so gesehen wurde. Sicherlich wog die Last des Gewissens in vielen Fällen schwer, wobei diese reflektierenden Prozesse erst nach der eigentlichen Tat einsetzten und die Aktionen, an denen die Soldaten beteiligt waren, zunächst einmal beinahe mechanisch abliefen. In der sozialpsychologischen Forschung wurde die Idee unterstrichen, dass die Soldaten durch den Krieg brutalisiert worden seien, was jedoch die Möglichkeit ausblendet, dass Gewalt auf einige der Männer auch eine gewisse Attraktion ausgeübt haben könnte.20 In vielerlei Hinsicht sozialisierten sich die Sol- 17 18 13 14 15 16 Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte. Berlin 22020, S. 219. Ebd., S. 225–231. Ebd., S. 247. Elissa Mailänder: Unsere Mütter, unsere Großmütter: Erforschung und Repräsentation weiblicher NS-Täterschaft in Wissenschaft und Gesellschaft. In: Oliver von Wrochem (Hg.): Nationalsozialistische Täterschaften. Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie. Berlin 2016 (= Neuengammer Kolloquien 6), S. 83–101, hier S. 85. 19 20 Vgl. dazu Jan Philipp Reemtsma: Grußwort. Zur Eröffnung der Ausstellung über Fritz Bauer, in: Einsicht. Bulletin des Fritz Bauer Instituts 12 (2014), S. 58 f., hier S. 58. Dazu ausführlich: Olga Shtyrkina: Mediale Schlachtfelder. Die NS-Propaganda gegen die Sowjetunion (1939–1945). Frankfurt am Main 2018. Daniel Hohrath u. Daniel Neitzel: Entfesselter Kampf oder gezähmte Kriegführung? Gedanken zur regelwidrigen Gewalt im Krieg, in: dies. (Hgg.): Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Paderborn 2008 (= Krieg in der Geschichte 40), S. 9–37, hier S. 9. Sönke Neitzel u. Harald Welzer: Soldiers. German POWs on Fighting, Killing, and Dying. New York 2013, S. 44. daten zudem über die geteilte Gewalterfahrung als Teil der erfahrenen und gelebten Kameradschaft einer verschworenen (Täter-)Gemeinschaft.21 Sicherlich muss hier ebenfalls beachtet werden, dass Gewalt schlichtweg zum Referenzrahmen der Soldaten gehörte und das Töten als Teil ihrer Pflicht wahrgenommen werden konnte.22 Äußerungen dazu tauchen, ebenso wie offen antisemitische Bemerkungen, in den Briefen kaum auf. August Bender beschreibt lediglich des Öfteren seine Bestürzung über die Armut und Not in der Sowjetunion, setzt diese interessanterweise aber nicht mit dem Krieg, sondern der seit dem Scheitern der Russischen Revolution existierenden „Herrschaft des Bolschewismus“ in Zusammenhang. Bedenkt man diesen Aspekt der nationalsozialistischen Propaganda, der seit der Erfahrung der Novemberrevolution 1918, vor allem in Bayern, wo eine „Bolschewismusfurcht“ besonders evident war,23 verstärkt und normalerweise mit antisemitischen Argumenten zum sogenannten Judäobolschewismus vermengt wurde,24 verwundert es nicht, dass diese propagandistischen Stereotype auch in einigen der 21 22 23 24 Dazu ausführlich Thomas Kühne: The Rise and Fall of Comradeship. Hitler’s Soldiers, Male Bonding and Mass Violence in the Twentieth Century. Cambridge u.a. 2017. Neitzel u. Welzer (Anm. 20), S. 53. Bettina Köttnitz-Porsch: Novemberrevolution und Räteherrschaft 1918/19 in Würzburg. Würzburg 1985 (= Mainfränkische Studien 35), S. 13. Vgl. dazu Frank Jacob: The Semiotic Construction of JudeoBolshevism in Germany, 1918–1933. In: War and Semiotics Signs, Communication Systems, and the Preparation, Legitimization, and Commemoration of Collective Mass Violence. Hg. v. Frank Jacob. London 2020, S. 106–127; ders.: Der Kampf um das Erbe der Revolution: Die Darstellung Kurt Eisners in den Printmedien der Weimarer Republik. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 29 (2020), S. 325–346; ders.: Kurt Eisner, die Revolution in Bayern und die Genese eines antisemitischen Verschwörungsnarrativs. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 69 (2021), H. 12, S. 1024–1037. Briefe an Pfarrer Hepp auftauchen, zumal der Krieg bisweilen als eine Art christlicher Kreuzzug gegen die Sowjetunion interpretiert wurde.25 Alles in allem überwiegen aber die persönlichen Erfahrungen in den Kriegsjahren sowie der Wunsch, die Verbindung zu Gemeinde und Seelsorger aufrechtzuerhalten. Wie wichtig diese spirituell-religiöse Verbindung für die jungen Männer war und welche Rolle Josef Hepp als Seelsorger auch in Kriegszeiten übernahm, belegen die Briefe eindrucksvoll. SCHLUSSBETRACHTUNG Die Feldpostbriefe Kleinostheimer Soldaten an Pfarrer Josef Hepp sind in ihrer durchaus großen Zahl ein wichtiger Quellenfundus, der mit Blick auf verschiedene Fragestellungen hin untersucht werden kann. Welche Rolle spielte Religion während des Zweiten Weltkrieges im Allgemeinen und für junge Soldaten im Speziellen? Wonach sehnten sich die Männer, während sie an der Front einen Krieg führten und einem Regime dienten, an das sie längst nicht mehr alle und in vollem Maße glaubten? Wie eng war die Verbindung eines Seelsorgers zu seiner Gemeinde, auch in einer Zeit der Extreme und der Gewalt? Und: Wie kommunizierten Soldaten ihre Erfahrungen mit Blick auf den Referenzrahmen, der von Krieg, Gewalt, Verlust und Zerstörung determiniert war? All diese Fragestellungen sind wichtig und scheinen das Potenzial zu haben, unser Verständnis des Zweiten Weltkrieges aus Sicht der in ihm kämpfenden, tötenden und oft vor Ende desselben sterbenden Sol- 25 Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann sprach dahingehend von einer „heiligen Hetzjagd“. Wolfgang Wippermann: Heilige Hetzjagd. Eine Ideologiegeschichte des Antikommunismus. Berlin 2012. 79 80 daten besser zu verstehen. Die Edition der Feldpostbriefe an Pfarrer Josef Hepp strebt deshalb danach, diese individuellen Berichte einem breiteren Lesepublikum zugänglich zu machen und so nicht nur einen Beitrag zur Geschichte Kleinostheims, sondern der Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die Menschen in der Region zu leisten. APPENDIX. DOKUMENTATION EINER INDIVIDUELLEN KORRESPONDENZ, AUGUST BENDER AN JOSEF HEPP, 1941–194326 3. Mai 1941. Grüss Gott, Herr Pfarrer! Seit 4 Wochen trage ich nun wieder den grauen Rock und längst wäre eigentlich für Sie ein Brief fällig gewesen und entschuldigen Sie bitte deshalb meine Nachlässigkeit. Ich hatte bisher jeden Tag, den Gott gab, von morgens bis in die Nacht hinein alle Hände voll zu tun und immer nur wenige Freizeit, in der ich Elisabeth27 und meinen Eltern schrieb. Ich kam, nachdem ich, wie bekannt, bereits früher auf der Heeres-Standort-Verwaltung arbeitete wieder bei der Feldeinheit auf die Zahlmeisterei und diese Arbeit liegt mir auch und macht mir Freude und vor allem, ich bringe da den Tag schneller tot. Arbeit ist ja immer das Beste. Mein Chef, [sic] ist auch ein sehr lieber und netter Mensch. 26 27 Editorische Notiz: Die folgenden Briefe werden wie im Original wiedergegeben, so dass etwa Datumsangaben in ihrer Form variieren. Änderungen wurden, ebenso wie etwaige Auslassungen (i.d.R. aufgrund von unleserlichen Passagen), mit eckigen Klammern bzw. […] gekennzeichnet. Fehler im Text wurden so belassen, sind aber mit [sic] gekennzeichnet. Benders Frau. Meine Einberufung kam kurz befristet, sonst hätte ich Sie gerne nochmals gesprochen. Schade, dass ich z.Zt. als Sie bei uns waren nicht zuhause war. In Kleinostheim passieren ja tolle Sachen, ich denke da in erster Linie an den plötzlichen Tod von […] Ja es muss halt eben leider jeder über die Klinge des Sensenmannes und wenn das nicht abgeschafft wird, kommen auch wir mit anderen Leuten noch an die Reihe. Der Kreis um mich ist der Übliche [sic]. Vor kurzem machte ich beim Mittagstisch eine nicht alltägliche Bekanntschaft[,] ein Sanitäts-Soldat bei uns ist im Zivilberuf Kaplan in Essen und war Präses eines Jungmänner-Vereins. Fein was? Morgen früh wollen wir zusammen mit Elisabeth, die ich heute noch erwarte, 4 km von hier zur Kirche, in der er celebriert [sic]. Entschuldigen Sie bitte noch die Schreibmaschinenschrift, die für mich den Vorteil hat, dass es schneller geht. Es würde mich freuen, von Ihnen einmal zu hören und seien Sie in alter Treue recht herzlich gegrüsst, mit der Bitte um Gebet für meine Familie, von Ihrem August! 10. Aug. 1941. Grüß Gott, Herr Pfarrer! Gestern erhielt ich Ihre Zeilen vom 15. Juni, haben Sie [D]ank dafür. Sie haben recht, es ist im Kriege nicht leicht „Mensch“ zu bleiben, nicht wegen des Geldes und auch nicht im Überfluß der Arbeit, aber ob der Grausamkeit und der Greueltaten. Wissen Sie diese bolschewistischen Kommissare sind alles andere als Menschen.28 Alles was 28 Vgl. dazu auch den sogenannten Kommissarbefehl. Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare [Kommissarbefehl], 6. Juni 1941, Bundesarchiv-Militärarchiv, BArch MA, RW 4/v. 578, Bö. 42–44, online unter: https://www.1000dokumente.de/index. Mannes, ähnlich wie in Deutschland. Folge davon, die Kinder wurden von ihren Vätern totgeschlagen und begraben. Dies wurde zwar auch bestraft, aber bei den C.C.C.P. Leuten ging das ins [U]nsichtbare. – Alles ist hier anzutreffen, sogar jedes Haustier, wie Wanzen, Flöhe, Läuse, Mäuse, Ratten und ganze Schwärme Fliegen. Man hat also die geschlagenen 24 Stunden des Tages die nötige Unterhaltung. Wenn wir irgendwo auf der Straße Aufenthalt haben und essen etwas, dann stehen im Nu eine Menge Kinder herum und beobachten Abb. 4 Deutsche Truppen in den Ruinen von Minsk, Juli 1941. jeden Brocken der zum Munde geht. – Ich Foto: Albert Cusian. kann das nicht sehen und esse deshalb Wikimedia Commons, Bundesarchiv, Bild 101I-137-1009-17, CC-BY-SA 3.0 meistens während des Fahrens, alles was Menschenhand errichtet, machen sie bei ihrem Rückzug wir verdrücken, ist deutsche Ware, denn nieder. So in etwa hatten wir schon eine Vorstellung hier ist rein gar nichts zu haben. Das ist Rußland und vom Kriege, was man aber in Rußland sieht, übersteigt das ist Krieg, Herr Pfarrer! Gebe Gott, daß nicht alles jede Vorstellung! Z.B von der ehem. Großstadt Minsk umsonst ist und alles für ihn bereitet wird! Das ist mein steht sozusagen, auch kein einziges Haus mehr, nur Wunsch! noch die Kamine stehen über den Trümmern.29 Sie werden heute mit Ihrer Gemeinde das Patronatsfest Wenn man so durch den Schutt fährt, soweit überbegehen, mit feierlichem Hochamt und wie froh wäre haupt sah man z. B. im ehem. Litauen noch wunderich Teilnehmer sein zu können, anstatt … wie primitiv schöne [Häuser], ich denke da z. B. an Wilna, aber im wird doch alles im Kriege, z. B. mein Morgengebet hat eigentlichen Rußland nur noch selten. Eine ehem. folgende Geschichte. Ich war rasiert und cremte mich Deutsche erzählte uns in Minsk: 10–15x verheiratet war ein. Etwas Creme auf die Stirn, etwas auf die rechte und unter den Funktionären gang und gebe. Die Kinder linke Wange und etwas in die Gegend des Kehlkopfes. wurden früher vom Staat unterhalten. Später als das zu Ein Kamerad sagte, bist Du katholisch; ja, sagte ich, kostspielig wurde, kam ein Gesetz mit Zahlung des warum? Weil Du das Kreuz machst, sagte er. Seitdem mache ich auf diese Art tatsächlich mit Verstand täglich immer [f ]rüh dieses Kreuz als Morgengebet! html?c=dokument_de&dokument=0088_kbe&object=abstract Lassen Sie mal wieder etwas hören und seien Sie mit &st=&l=de (aufgerufen am 21.12.2021). 29 Bender verliert hier kein Wort zur Kesselschlacht bei Białystok der Bitte, um Ihr Gebet, recht herzl. gegrüßt von und Minsk (22. Juni bis 9. Juli 1941), in deren Zuge die Stadt von der Wehrmacht belagert und zerstört worden war. Ihrem August. 81 82 18. Sept. 1941. Grüß Gott, Herr Pfarrer! Recht frohen Dank für Ihre Namenstag-Gratulation mit dem Heftchen „junge Kirche“. Die letzte Woche hatten wir eine Diskussion über Christus und jetzt kommt mir wie gerufen dieses Heftchen in die Finger! Den mit Ihrer Karte avisierten Brief habe ich bis jetzt noch nicht erhalten, das wundert mich aber ganz und gar nicht, denn ich habe z.Zt. seit etwa 6 Wochen keine Nachricht mehr von meiner Lieben, obwohl ich weiß, daß sie alle 2 Tage schreibt. Was haben wir darüber schon geschimpft, aber Rußland ist groß _ _! Es fängt an kalt zu werden. Wir liegen z.Zt. in einer ehem. […]-Pferdescheune. Diese haben wir uns einigermaßen Wind- und Regen-dicht gemacht, ohne Nägel, die es ja hier nicht gibt und einen Ofen aufgestellt, es ist eine Benzintonne, das Rohr leere, zusammengesetzte Konservenbüchsen. Unsere Lastkraftwagenbatterie liefert uns Strom zur Beleuchtung, also genug Wochen hier in dieser Robinson-Gegend. Ein Europäer unserer Tage kann hier nur immer und immer wieder den Kopf schütteln. Nur schade, daß man sich mit diesen Menschen nicht unterhalten kann. Die paar, die einige Brocken [D]eutsch können, schimpfen auf Stalin. Meine Beobachtungen, die ich bisher machen konnte, entsprechen ganz den Schilderungen[,] die man früher über den Bolschewismus las, ja sie übertreffen diese noch.30 Die Menschen selbst sind äußerst fleißig und alles Unglück brachte eben die Führung. Das, was wir hier als schön empfinden, ist die gemeinsame Arbeit auf dem Felde und es ist ein schönes Bild, wenn so die ganze Gemeinde draußen steht und erntet. Wenn man diesen Menschen den Glauben nicht geraubt hätte, ich könnte 30 Der Antibolschewismus war ein zentraler Aspekt der NS-Weltanschauung und Propaganda. mir vorstellen, daß es eine wahrhaft christl[iche] Gemeinschaft wäre. Es ist das Einzige, was diese Menschen hatten. Vorgestern war ich in einer Wohnung, wir gehen ja wegen dem [sic] Ungeziefer sonst nicht hinein und da hing an der Wand ein Bild, in den 4 Ecken ein Kreuz und in der Leiste eine Madonna, die natürlich ganz anders ist als unsere Muttergottes, ich glaube aber doch es sollte die Muttergottes sein. Das Bild nahm den Hauptplatz an der Wand ein. Im übrigen arbeiten die Menschen an Sonntagen auch nicht. Mit den besten Grüßen auch allen Bekannten Ihr August. Kl[eino]stheim scheint merkwürdiger- und erfreulicherweise im Osten gut weggekommen zu sein! – Karl Wolf sei gefallen[,] wurde mir mitgeteilt. Er war ja früher auch bei uns. 20. November 1941. Grüß Gott, Herr Pfarrer! Ihr Brief hat mir wieder Freude gemacht. Ich empfing ihn erst jetzt mit einem Schwung anderer. Ich danke Ihnen dafür. – Zuerst waren wir 8, dann 6 und jetzt wieder 6 Wochen ohne jede Post und was das dann ein Freudentag ist, wenn es Grüße aus der Heimat gibt, können Sie sich lebhaft vorstellen! Ja, dieser Krieg ist wirklich Vernichtung, Stalin hat doch mit dem Ertrag dieses reichen Landes nichts anderes gemacht als Mordgeräte geschafft [sic]. Man muß sich immer nur so wundern, wenn man hierüber Zahlen hört. Hier, in Rußland kann selbst jeder blöde Hammel sehen, wohin ein Volk ohne Gott und seine Kirche steuert. Nach außen stehen die Kirchen noch, wenn man aber hineingeht, sind es Garagen, Gemeinschaftsräume und Gottlosenmuseen gewesen. Ich habe hier, ein in Rußland gedrucktes, deutsch-russ. Wörterbuch in Händen und wollte mich gestern Abend mit dessen Hilfe über die Gottlosenbewegung etc. mit meinen derzeitigen Quartierleuten unterhalten, aber siehe da, alle Wörter überirdischen Begriffs sind nicht darin zu finden. Hier trifft man in jedem Haus eine neu errichtete, schöne Herrgottsecke, ich frug seit wann und man antwortete mir: „seit Stalin fort“. Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schon schrieb, daß wir z.Zt. in Minsk Zeugen sein konnten, wie sich viele, viele taufen ließen. Ich schrieb dieser Tage auch darüber meiner Frau. Ein Volk äußerst [P]rimitiver, ansspruchslos, arm und ohne Gott in einem von ihm so reich geschaffenen Land. Was könnte hier geerntet werden ohne Brachwirtschaft und mit Dung? Die Frauen, das fällt uns allgemein auf, sind äußerst fleißig, ja mehr als das, sie sind bald die Sklavin des Mannes. Sie verrichten die gesamten Haus-, Feld- u[nd] Erntearbeiten und haben dabei noch alle einer Menge Kindern das Leben geschenkt und diese werden so nebenbei hart und, wie das Volk nun einmal ist, primitiv erzogen. Daß die Bolschewisierung Deutschlands vorgesehen [ist], beweist schon allein die Tatsache, daß die Kinder in der Dorfschule sogar nebst [R]ussisch auch [D]eutsch lernen mußten.31 Der Mann schafft selten, meist steht er beim Arbeiten der Frau dabei und raucht eine aus Zeitungspapier gedrehte Zigarette! und ist auch unsauberer als die Frauen. Eines finde ich hier schön und das ist die Gemeinschaftsarbeit[,] bei der sämtliche Frauen des Dorfes mithelfen und diese wird mit Humor und Frohsinn verrichtet, wenn sie meist von den Erträgen auch nichts haben als ihr armseliges Leben zu fristen. Wir haben uns über dieses bewunderungswürdige Treiben schon oft unterhalten. Daß der kleine Fecher32 in Orscha33 gestorben ist, war mir neu. Auch ich hatte z.Zt. in Orscha die Ruhr34 […] Eine Morphiumspritze hat mir jedoch, nachdem Opium und alles andere versagte, geholfen. Ganz Orscha hat z.Zt. gesch… Indem ich auf einen baldigen Frieden hoffe und auf Gott vertraue, grüße ich Sie als Ihr August. Rußland, 30. Dez. 1941. Sehr geehrter Herr Pfarrer! Zum neuen Jahre die allerbesten Wünsche Ihnen mit der ganzen Gemeinde! Hoffentlich bringt es uns endlich den heißbegehrten Frieden zum Wohle des ganzen Volkes. […] Mit frohem Gruß! Ihr sehr ergebener August. Rußland, 18.1.42. Grüß Gott, Herr Pfarrer! Haben Sie Dank für den Weihnachtsbrief, der gestern zu mir gelangte. Es war die 1. Weihnacht fern der Heimat, ob es die letzte ist? […] Kl[eino]stheim hatte anfangs fast keine Opfer des Krieges und auf einmal hagelte es gerade so. Ja es ist schade, um jedes junge Leben und um Leute wie Leopold35 ganz besonders. – Von unseren 32 33 31 Ein Beleg für die Furcht vor einer revolutionären Bolschewisierung Deutschlands, die seit 1918 um sich gegriffen hatte und auch in der NS-Propaganda regelmäßig als Gefahr beschworen worden war. 34 35 Anton Hermann Fecher (1922–1941). Pfarrei Sankt Laurentius Kleinostheim (Anm. 2). Stadt im heutigen Belarus. Eine ansteckende Durchfallerkrankung. Leopold Glaab (1913–1941) war im September des Vorjahres in der Nähe von Murmansk gefallen. Pfarrei Sankt Laurentius Kleinostheim (Anm. 2). 83 84 Opfern wollen wir gerne absehen und sie ertragen, von denen sie schreiben, wenn nur dafür die Garantie gegeben ist, daß jedweder Bolschewismus verschwindet und die Glocken von den Türmen aller Kirchen den Einzug des „Reiches Gottes“ verkünden. Wie ungeheuer groß, wenigstens materiell, die bolsch[ewistische] Gefahr war, ahnte keiner und wie sie die armen Menschen noch mehr als zu Sklaven erniedrigt hat, müssen wir täglich sehen. […] der Bolschewismus brachte es in 20 Jahren nicht fertig, Gott und den Glauben an ihn zu brechen. Er hat die Menschen […] gemartert, erschossen, aber nicht Gott verbannt. Wie damals das religiöse Leben blühte in diesem reichen Land, das beweisen die schönen Gotteshäuser, deren Gerippe ja fast überall noch steht, wenn deren Räume auch anderen Zwecken dienten. Kürzlich hatte ich ein in Rußland gedrucktes Wörterbuch: deutsch-russ. in Händen und wollte die Leute über [V]erschiedenes ausfragen, in ihm fehlten aber alle religiösen Begriffe. Nur Pfaffe etc. war darin zu finden. Hoffen wir für die Zukunft das Beste. Gottes Wege sind ja unberechenbar. Mit den besten Grüßen Ihr August. Junges Leben wächst trotz des Krieges erfreulicherweise in Kl[eino]stheim 6.5.42. Grüß Gott, Herr Pfarrer! Der Winter ist vergangen und ich muß unserem Herrgott danken, daß ich ihn so gut überstanden habe. Wie hart waren die Tage bei [-]57 Grad und schon jetzt ist schon alles wieder vergessen. Das Leben geht weiter. Täglich fordert es seine Opfer. Wieviele [sic] Kameraden[,] mit denen ich noch den Winter zusammen war, sind nicht mehr! Wie oft habe auch ich dem Tod ganz nah gestanden. Jetzt ist es wieder etwas ruhiger hier geworden. Wann wird dieses grausige Morden ein Ende nehmen? Was wird noch alles kommen. Die Menschen werden täglich härter! – Wie weit der Mensch ohne Gott sinken kann, dafür ist Rußland ein lebendes Beispiel, es sind wilde Tiere! Arme Bewohner in einem so großen und reichen Land – was aber getan wird, macht nur die Angst und Peitsche! Viele sehen oder wollen den tieferen Grund nicht erkennen und doch liegt er so nahe. – Was gibt es zuhause Neues? Recht frohe Pfingsten und mit der Bitte, um Ihr Gebet für mich und meine Familie, grüßt Sie mit den besten Wünschen Ihr August! 24.7.42. Grüß Gott! Einmal wieder einen Gruß aus dem weiten Osten! in Ihre Schweigsamkeit. Wir sind dauernd jetzt wieder auf der Achse. Gesundheitlich bin ich Gott sei Dank wohlauf, auch von zuhause habe ich gute Nachricht. Mit der Post klappt es z.Zt. ausgezeichnet und 16 Wochen ohne Nachricht, wird wohl nicht mehr vorkommen – Was gibt es dort [in Kleinostheim] Neues? Ihre schönen Übersichtsberichte fehlen seit langer Zeit, warum? Mit den besten Grüßen an alle Ihr sehr ergebener August! 26. Febr. 1943. Grüß Gott! In letzter Zeit waren wir immer auf Achse und ich hatte kaum Zeit das Notwendigste zu erledigen, aber heute gleich an Sie ein Lebenszeichen! Zunächst frohen Dank für Ihren Besuch bei meiner Familie. […] Hier ist immer das gleiche Spiel, wir müßen halt überall dahin, wo es brennt und kaum ist dann das wieder bereinigt, geht es weiter, so zigeunern wir eben viel umher! Es ist in Rußland halt überall das gleiche Bild, tot [sic] und Elend, hat der Bolschewismus dem Volk gebracht. […] Stalingrad muß zuhause überall viel Schmerz und Schatten geworfen haben.36 Wer wird von Kl[eino]stheim wieder dabei sein? Mit frohem Gruß und der Bitte um Ihr Gebet, grüßt Ihr August! 5. April 1943. Grüß Gott, Herr Pfarrer! Ihr Gruß freute mich wieder! Jawohl, dieser schwere Winter ist auch von mir wieder gut überstanden und ich danke unserem Herrgott für all seinen Schutz und seine Hilfe! – Sind Sie optimistisch geworden? Gewiß bedingt der totale Krieg ein baldiges Ende37, aber an dieses Jahr stelle ich diese Hoffnung kaum. Mit Rußland könnte es vielleicht zu einem Abschluß kommen. – Dann ja, hoffen wir! Ja, Gottes Wirken […], das kann man wohl auch wieder zu den neuen Vorfällen in Kl[eino]stheim sagen. Man soll ja niemand[em] etwas Böses wünschen, aber eine Befriedigung ist das doch, daß man endlich diesen […] [Saboteur] gefasst hat. Mit welch teuflischen Methoden hat er jahrelang unsere Arbeit sabotiert! – Gott sei’s Ihm gnädig. Sonst ist es z.Zt. hier, in dem heiß umstrittenen Abschnitt, bedingt durch die derzeitige Schlammperiode, ruhig geworden. – Und nun die besten Wünsche Ihnen und allen tapferen Kämpfern für Christi Reich, von Ihrem August! 22.8.43. Grüß Gott! Bei meinem jetzigen Urlaub hatte ich Pech, sodaß ich Sie nicht treffen konnte, denn Sie waren ver[r]eist. Am Freitag vor dem Lorenzen-Tag [Laurentius] war ich abends zur Verabschiedung nochmals in Kl[eino]stheim, da waren Sie im Dorf! Bei Kirchgeßners glaubte ich Sie zu erreichen, aber da waren Sie auch gerade wieder weg! Schade! Ich hatte wieder einmal Glück, denn die Komp[anie] machte während meines Urlaubs ihre bisher härtesten Tage bei der Oreler-Schlacht [Orjol]38 mit! Jetzt ist es z.Zt. bei uns wieder etwas ruhiger. Mit den besten Wünschen und der Bitte um Ihr Gebet für mich und meine Familie, grüßt Sie Ihr August! Frank Jacob 36 37 Gemeint ist die Schlacht von Stalingrad (August 1942 bis Februar 1943), die als „psychologischer Wendepunkt“ des Krieges im Osten gilt. Propagandaminister Joseph Goebbels hatte in seiner sogenannten Sportpalastrede am 18. Februar 1943 zum „totalen Krieg“ aufgerufen. Joseph Goebbels, Rede im Berliner Sportpalast [„Wollt Ihr den totalen Krieg“], 18. Februar 1943, online: https:// www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de &dokument=0200_goe&object=translation&l=de (aufgerufen am 21.12.2021). 38 Gemeint ist die Orjoler Operation, eine sowjetische Offensive im Sommer 1943. 85